Digitale Wunder

449 digitale Wunder

Die Zeit vageht so schnoi, die Johr vagehn’d,
du iwagwoscht es gonz, wia groaß die Enkei send!
Krod no Flaschei trunken, in d‘Windel g’schissen,
oda boid die Zahnei kemmand, ins Fingal bissen,

die easchtn Wörter loarwan, mid’n Fohrradl fohn
und auf oamoi send die Kinder fost dawoxen wohn!
Mitnond a wenk reden, des is nimma so fei,
Fernsehen is a nix mehr – des muass jetz Streaming sei!

Stehn’d vou dir, wischen auf’n Handy hin und her,
hommb a eigene Sproch, die vastehnd ma nid mehr:
Auf a Gammelfleischparty kust geh wonnst iwa dreissge bist,
oda a Snackosaurus bist, wennst die gonze Zeit nua isst!

Und decht – gibb‘s woi nix Scheenas in insan Leben,
boid’s ins die Liab vo die gonzen scheen Johr z’ruckgeben,
mid ins amoi schwimma oder auf die Berg auffigehn’d
und auf oamoi decht wieder die kloan Enkei send!

I hu ma‘s hintan Tisch in gmiatlich gmocht,
trocht, wo’s geit’s ebba im Fernsehn heit auf d’Nocht,
i schaug dem Jakob Schubert in Tokio bein Bouldan zua,
reißt die Händ auffi, wia a obn is, der tolla Bua!

„Mannei, kunnst ma bittschee amoi die Zeidung gebn?
Brauxt krod hintummi glonga, lieg glei bei dir daneben!“
„Na Opa! Zeidung, des is gestan gwesen!
Du muast die umgwena und digitalen Nochrichten lesen!

Do schaugg, i glong dann ummi, du kust mein iPad nemma!
Des geht gonz oafach, du weascht zur Erkenntnis kemma,
des is die Zukunft! Des Leben is in Zukunft digital!
D’Haustür aufspeen, Kaffeemaschin starten, gonz egal,

wennst dahoam wos mext, oafoch da Alexa schrein,
b’stöhn, wenn wo gor is, dir weascht’s an nix mehr fein!
Die Smartwatch misst den Puis und wia’s da mid‘n Zugga geht,
wenn d’Oma einkaffen geht, wia’s mit dein Bankkonto steht!“

Er red und red, preist des neue digitale Leben,
oft nimm i hoid stod da Zeidung des iPad, er hod ma’s jo geben,
eigentlich is mia des ois wurscht, kimmb mia hoit fie,
Hauptsoch die fette Fleischfloig vou mir auf’n Tisch is hi!

Zusammenfassung

449 Digitale Wunder
Gedicht September 2021

von einer Diskussion um die digitale Zukunft mit dem Enkerl und einem Mißverständnis

Type: witzig

Beschreibungen und Ausdrücke

Die Zeit vergeht so schnell, die Jahre vergehen,
du übersiehst es ganz, wie groß die Engel sind!
Gerade noch Flasche getrungen, in die Windel gekackt,
oder wenn die Zähne kommen in den Finger gebissen,

die ersten Wörter sprechen, mit dem Fahrrad fahren
und auf einmal sind die Kinder fast erwachsen geworden!
Miteinander ein wenig reden, das ist nicht mehr so fein,
Fernsehen ist auch nichts - es muss jetzt Streaming sein!

Stehen vor dir, wischen auf dem Handy hin und her,
haben eine eigene Sprache, die versteht man nicht mehr:
Auf eine Gammelfleischparty kannst du gehen, wenn du über dreissig bist,
oder ein Snackosaurus bist, wenn du die ganze Zeit nur isst!

Und doch - gibt es was wohl nichts Schöneres in unserem Leben,
wenn sie uns die Liebe der ganzen schönen Jahre zurückgeben,
mit uns einmal schwimmen oder auf den Berg hinaufgehen
und auf einmal doch wieder die kleinen Enkerl sind!

Ich habe es mir hinter dem Tisch gemütlich gemacht,
denke nach, was es im Fernsehen geben wird am Abend,
ich schaue dem Jakob Schubert in Tokio beim Bouldan zu,
reisse die Hände nach oben, wie er oben ist, ist ein toller Bub!

"Kleiner Mann, kannst du mir bitte einmal die Zeitung geben?
Brauchst nur nach hinten greifen, liegt gleich bei dir daneben!"
"Nein Opa! Zeitung, das ist gestern gewesen!
Du musst die umgewöhnen und digitale Nachrichten lesen!

Da schau, ich gebe in dir hinüber, du kannst meinen iPad nehmen!
Das geht ganz einfach, du wirst zur Erkenntnis kommen,
das ist die Zukunft, das Leben ist in Zukunft digital!
Die Haustüre aufsperren, Kaffeemaschine starten, ganz egal,

wenn du zu Hause etwas möchtest, einfach der Alexa schreiben,
bestellt, wenn etwas aus ist, dir wird nie mehr etwas fehlen!
Die Smartwatch misst deinen Puls, wie es um den Zucker steht,
wenn die Oma einkaufen geht, wie es mit deinem Bankkonto steht!"

Er redet und redet, preist das neue digitale Leben,
dann nehme ich halt statt der Zeitung den iPad, er hat ihn mir ja gegeben,
eigentlich ist mir das alles egal, kommt mir halt vor,
Hauptsache die fette Fleischfliege vor mir auf dem Tisch ist tot!